Lobbyismus & Public-Choice-Theorie
Vom 9. bis 11. November veranstaltete der AK WiSo in München ein Seminar zum Thema „Lobbyismus und die Public-Choice-Theorie“. Der Ansatz, ein Seminar jenseits von Gummersbach und Saarbrücken zu veranstalten, fand regen Zuspruch. Und dank des unermüdlichen Einsatzes des Regionalbüros München, namentlich des Leiters Alexander Rieper, funktionierte das Experiment hervorragend. Da die Nachfrage für das Seminar die Zahl der möglichen Teilnehmer überstieg, haben wir uns auch erstmalig entschlossen, das Seminar unter Mithilfe der Virtuellen Akademie online zu übertragen. Mit 24 Teilnehmern in München und zu Spitzenzeiten weiteren 10 Online-Teilnehmern wurde ein breites Publikum erreicht.
Das Seminar begann am Freitagabend mit einer kurzen Einführung in die Grundzüge der Public-Choice-Theorie. Vor gut fünfzig Jahren fingen die Ökonomen James M. Buchanan und Gordon Tullock an, sich ausführlicher mit dem Phänomen zu beschäftigen, dass die Vertreter von Einzelinteressen oft politische Entscheidungen durchsetzen, die negative Auswirkungen auf das Gemeinwohl haben.
Das Seminar bestand aus zwei Teilen: In einem ersten wurde die Realität des Lobbyismus und die Arbeit von Interessenvertretern genauer in den Blick genommen. Am Freitagabend sprach Altstipendiat Dr. Christoph Sprich über seine Arbeit als Referent für Außenwirtschaftspolitik beim BDI. Sein informativer und anschaulicher Vortrag konnte manche Wissenslücke schließen, und beim anschließenden Zusammensitzen stand er noch lange für Fragen zur Verfügung. Den Samstag eröffnete – mit Hilfe einer webcam zugeschaltet – der neue Leiter des FNF-Büros Moskau, Julius Freytag von Loringhoven, der zuvor Mitarbeiter bei einer Brüsseler PR-Agentur war. Seine Ausführungen begannen mit philosophischen Überlegungen zur Notwendigkeit einer pluralistischen Gesellschaft. Dann stellte er die vielerlei Vorteile heraus, die sich aus seiner Perspektive aus der Arbeit von Lobbyisten ergäben, vor allem die Bereitstellung von Expertise und Fachkenntnis. Als zweiten Gast durften wir den Europaparlamentarier Holger Krahmer begrüßen. Er konnte sehr anschaulich aus dem Alltag eines Parlamentariers berichten und einen tieferen, bisweilen überraschenden, Einblick in die komplexe Welt politischer Einflussnahme gewähren.
Für den zweiten, auf die Theorie ausgerichteten Teil des Seminars, konnten wir erfreulicherweise zwei Koryphäen gewinnen, die, wie sich später herausstellte, beide ihre Vorträge eigens für unsere Veranstaltung verfasst hatten. Bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr – nach seinem Vortrag auf unserem Strukturtreffen in Saarbrücken – beehrte uns Prof. Roland Vaubel. In seinem Vortrag zum Thema „Die Public-Choice-Analyse des Lobbyismus“ zeigte er auf, wie es zur Bildung von Interessengruppen kommt, welche Arten der Einflussnahme man findet und welche Ziele sie verfolgen. Anhand einer Studie, die er jüngst durchgeführt hat, stellte er dies am Beispiel der Tätigkeiten ehemaliger EU-Kommissare für Interessenverbände dar. Prof. Michael Zöller, Professor für Politische Soziologie an der Universität Bayreuth, nahm uns mit auf einen fulminanten Ritt durch die Ideengeschichte. Im Mittelpunkt seiner eindrucksvollen Ausführungen stand die große gedankliche Wende zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert: War man bis dahin gemeinhin davon ausgegangen, dass es die eine Wahrheit gibt, von der aus alle anderen Wahrheiten sich ableiten, so wandelte sich dieses Verständnis grundlegend dahingehend, dass man nunmehr von vielen einzelnen Teilwahrheiten ausging. Dies hatte auch Implikationen auf die Gestaltung des politischen und gesellschaftlichen Lebens: an die Stelle des einen Herrschers, der alles entschied, trat nun die „rule of law“ – die Herrschaft des Gesetzes, dem alle, auch der Herrscher, unterworfen sind. Nicht mehr willkürliche Entscheidungen derer, die im Besitz der Wahrheit sind, sondern allgemeingültige Regeln bestimmen das Miteinander.
Diese vielfältigen Gedanken und Eindrücke versuchten wir anschließend in drei Arbeitsgruppen, die sich auf die Themenbereiche Ökonomie, Recht und Philosophie aufteilten, ein wenig zu ordnen. Am Sonntagmorgen konnten wir wieder in der großen Gruppe noch einige Fragen klären und eine Bilanz des Seminars ziehen. Die Bilanz führte uns zurück zum Beginn unseres Seminars, nämlich zur Einsicht der Väter der Public-Choice-Theorie, dass man sich von Idealvorstellungen von politischen Entscheidungsträgern verabschieden muss. Weil jeder primär sein Eigeninteresse verfolgt, ist es wesentlich, jeden davon abzuhalten, dies auf Kosten der Allgemeinheit zu tun. Das Mittel dazu hat ein Teilnehmer sehr schön auf den Punkt gebracht, indem er darauf hinwies, dass wir nicht nur eine Schuldenbremse brauchen, sondern auch eine Politikbremse. Je mehr Einfluss man der Politik einräumt, umso größer werden die Spielräume dafür, Privilegien, Subventionen und andere Sonderbehandlungen zu verteilen.
Das Seminar war nicht nur aufgrund der hohen Teilnehmerzahl, sondern insbesondere auch aufgrund des sehr engagierten Interesses der Teilnehmer ein großartiger Erfolg! Ein ganz herzlicher Dank gilt allen Mitwirkenden: den begeisternden Referenten, der Thomas-Dehler-Stiftung, der Virtuellen Akademie und allen, die sich auf den Weg nach München gemacht haben!
Die Vorträge können hier angesehen werden:
- Vortrag Clemens Schneider und Dr. Christoph Sprich
- Vortrag Julius Freytag von Loringhoven und Holger Krahmer, MdEP
- Vortrag Prof. Roland Vaubel und Prof. Michael Zöller
Zur weiteren Information:
- Buchanan, James M., Collected Works
- Buchanan, James M., Public Choice: The Origins and Development of a Research Programm
- Butler, Eamonn, Public Choice – A Primer.
- Shughart, William F., Public Choice