Alles nur gekauft? – Lobbyismus, Public Choice und Korruption in Deutschland
Vom 13. – 15. April 2018 fand in der Theodor-Heuss-Akademie in Gummersbach das Seminar „Alles nur gekauft? – Lobbyismus, Public Choice und Korruption in Deutschland“ des Arbeitskreises für Wirtschaft und Soziales statt. An diesem Wochenende wurde kritisch über die Bedeutung der Interessenvertretung für den politischen Alltag, den vermeintlichen Vorwurf der Klientelpolitik und verschiedene Praxisbeispiele diskutiert.
Freitagabend referierte Dr. Hermann Kortland, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller e. V., über die Rolle des Lobbyismus in der Pharma-Welt. Der Bundesverband ist mit über 420 Firmen der mitgliederstärkste Verband der Arzneimittelbranche Deutschlands.
Kortland, seit mehr als 30 Jahren in der Interessenvertretung aktiv, begann mit der Frage, wie man Lobbyismus definieren könne. Er verwies auf die folgenden Kriterien, um die wichtigsten Bestandteile zu illustrieren:
Zunächst beschreibe Lobbyismus die Informationsbeschaffung, welche besonders durch informelle Beziehungspflege zu anderen Akteuren und Entscheidungsträgern generiert werde. Zu den Aufgaben eines Lobbyisten zähle folglich auch die gezielte Einflussnahme auf Entscheidungsträger politischer Vorhaben mithilfe einschlägiger Fachexpertise, z. B. in Form von Stellungnahmen oder Abänderungsvorschlägen. Ein weiterer Bestandteil sei letztlich auch die effektive Öffentlichkeitsarbeit, um die öffentliche Meinung gezielt zu beeinflussen.
Im weiteren Verlauf führte Kortland die Teilnehmer in das deutsche Arzneimittelrecht und Interessenkonflikte in der Pharma-Branche ein. Ein entscheidender Akteur sei der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA). Diese Körperschaft öffentlichen Rechts, bestehend aus Vertretern der vier wichtigsten Gesprächspartner des deutschen Gesundheitswesens (GKV-Spitzenverband, Deutsche Krankenhausgesellschaft, die Kassenärztlichen Bundesvereinigung und Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung), wäre für die Umsetzung gesetzlicher Rahmenbedingungen des gesamten Gesundheitswesens zuständig. Es stelle sich jedoch die Frage, inwieweit dieses Organ überhaupt demokratisch legitimiert sei, obwohl bedeutende politische Entscheidungen in diesem getroffen werden. Man könne nicht vernachlässigen, dass die vertretenden Institutionen im Prozess der Entscheidungsfindung unterschiedliche ökonomische Interessen verfolgen würden und daher versuchten, den eigenen Nutzen zu maximieren anstatt die optimale Lösung für Patienten zu finden. Ein Praxisbeispiel dieser Problematik zeige sich bei den Festbeträgen der Arzneimittel: Dies seien die Höchstbeträge für die Erstattung der Arzneimittelpreise durch die gesetzlichen Krankenkassen und machten immerhin 75% des gesamten GKV-Arzneimittelabsatzes aus.
Das Dilemma sähe folgendermaßen aus: Der G-BA ordne Arzneimittel in bestimmte Festbetragsgruppen zu. Da sich viele Erkrankungen mit mehreren Arzneimitteln behandeln lassen (z. B. je nach Patientenpräferenz mit Saft oder Tabletten), könne es passieren, dass beide Präparate derselben Festbetragsgruppe zugeordnet werden. Folglich erhalte der Arzneimittelhersteller für Saft und Tablette den gleichen Betrag, obwohl der Saft höhere Produktionskosten verursache als die Tablettenherstellung. Aufgrund der verzerrten Preisbildung würde die Saftproduktion nun unwirtschaftlich für den Arzneimittelhersteller. Spüren würden dies die Patienten: Denn besonders ältere Menschen litten häufig an Schluckbeschwerden und präferierten Säfte gegenüber Tabletten. Um auch künftig den Saft zu erhalten, müssten die Patienten aber eine Zuzahlung leisten oder die Produktion des Saftes würde schlimmstenfalls gänzlich eingestellt. Der Schaden entstünde folglich für den Patienten. Damit zeige sich ein klassischer Interessenkonflikt in der politischen Entscheidungsfindung. Bei der Vertretung der Interessen zum Wohle aller Beteiligten sei es aber, laut Kortland, essentiell stets nach den Prinzipien der Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit vorzugehen. Man könne nur mit stichhaltigen Argumenten, Sachverstand und überzeugenden Beispielen und moralischen Werten den Wettbewerb der Interessen gewinnen.
Am Samstagmorgen sprach Michael Kauch, Unternehmensberater und ehemaliger MdB, über den Dialog zwischen Politik und Interessengruppen.
Laut Kauch beschreibe Interessenvertretung die Beschaffung von Informationen aus der Praxis für die konkrete Umsetzung der Gesetze sowie das kontinuierliche Hinterfragen von Gesetzentwürfen mithilfe einschlägigem Fachwissens.
Zudem sei Lobbyismus zwingend nötig, um die effektive Kontrolle der Regierung durch das Parlament zu gewährleisten. Kauch prangerte an, dass die Verhinderung von Lobbyismus dazu führen kann, dass die Ministerialbürokratie mehr Macht erhalten würde. Da die Tätigkeiten der Ministerialbürokraten über die klassischen Exekutivaufgaben in der Praxis weit hinausreichen, sei in vielen Fällen spezifischer Sachverstand und Entscheidungskompetenz gefragt – ebendiese Informationen, die die Interessensvertretung bereitstellen kann. Ein „guter“ Politiker solle ferner immer beide Seiten einer Medaille betrachten und abwägen, bevor folgenreiche Entscheidungen getroffen würden.
Kauch verwies weiterhin auf die verschiedenen Erscheinungsformen der Interessenvertretung: Neben klassischen Verbänden und NGOs gäbe es die Interessenvertreter einzelner Unternehmen und Organisationen sowie die Public Relations (PR) und Public-Affairs-Agenturen.
In die Geschäftsfelder solcher PR – und Public-Affairs-Agenturen fielen zum Beispiel auch die „Market-Access-Beratungen“. Ziel sei es, den Marktzugang ausländischer Unternehmen z. B. in die Europäische Union zu begleiten und zu unterstützen. Als Beispiel führte Kauch den Markt für Medizinprodukte an. Diese Produkte unterlägen strengen Regularien innerhalb der EU. Bei einem Markteintritt in die Union hätten ausländische Unternehmen dadurch sowohl wirtschaftliche als auch rechtliche Hürden zu bewältigen. Kauch betonte, um effektive und sinnvolle Interessenvertretung zu betreiben, sei eine Art „Kundencheck“ unerlässlich. Dazu zählten einerseits die eigene Überzeugung von den Interessen des möglichen Partners, andererseits auch die ethische Überzeugung von dem Vorhaben. Beratungen, die in verschiedenen Bereichen wie Business Development, Market Assessment oder Public Affairs und Relations tätig seien, versuchten möglichst effizient den Marktzugang zu erleichtern und die Interessen der Unternehmungen gegenüber dem neuen politischen Umfeld zu vertreten. Dazu würden beispielsweise Netzwerke gepflegt oder besondere Evidenz-Analysen für Ausschüsse (wie z. B. den G-BA im Gesundheitswesen) aufbereitet. An dieser Stelle zeigte Kauch eine Problematik der aktuellen politischen Prozesse auf: Bei Anhörungen, z. B. im G-BA, würden Sachverständige zur Beurteilung und Informationsbeschaffung zwar offiziell eingeladen, allerdings erst zum Zeitpunkt der Anhörung der Gesetzentwürfe selbst. Effizienter wäre es, die Experten bereits zu einem früheren Zeitpunkt zu involvieren und nicht erst nach Ausarbeitung entsprechender Vorschläge. Die Abwägung und Entscheidungsfindung fände schließlich in den meisten Fällen bereits im Vorfeld statt.
Auch auf den vielfach diskutierten Vorwurf der Korruption kam Kauch zu sprechen. Der Versuch, Politiker „zu kaufen“ sei weniger auf Bundesebene problematisch, sondern vor allen Dingen auf kommunaler Ebene.
Gerade die Mitglieder des Bundestages stünden oftmals unter größerer Beobachtung und Kontrolle durch die Öffentlichkeit als Kommunalpolitiker. Es würde viel eher beispielsweise durch die Enthüllungen von Journalisten publik werden, wenn bekannte Politiker Geschenke annähmen, als wenn Lokalpolitikern Zuwendungen seitens lokaler Unternehmer erhalten würden.
Im Anschluss berichtete Gordon Gross von Haus & Grund über die Interessenvertretung in der Wohnungswirtschaft. Haus & Grund Deutschland vertrete auf Bundesebene die Interessen von über 900.000 Haus- und Wohnungseigentümern gegenüber Politik und anderen Verbänden. Der Verband sei nach einer föderalen Struktur aufgebaut, konkret gäbe es 22 Landesverbände mit über 900 Vereinen. Das Bottom-Up-Prinzip, d. h. die Beteiligung von unten nach oben, unterläge einer besonderen Förderung. Unterstützt würde dies auch durch den Aufbau des Verbands, dessen oberstes Entscheidungsgremium die Mitgliederversammlung sei, womit gewährleistet werde, dass jedes Mitglied eine Stimme besitze. Gross äußerte sich kritisch zu der Mitpreisbremse. Die 2015 eingeführte Mietpreisbremse solle ursprünglich verhindern, dass Mieten in begehrten Wohnlagen um 20, 30 oder mehr Prozent sprunghaft ansteigen würden. Gross führte an, durch die regulierten Mieten würden ohnehin beliebte Stadtteile noch attraktiver werden, was zu einer steigenden Nachfrage führe. Es würde allerdings damit auch unwahrscheinlicher für Menschen aus unteren Einkommensschichten, die Zuschläge für diese Wohnungen zu erhalten. Gross äußerte sich auch zu der Thematik der Mietspiegel. Der einfache Mietspiegel sei von allen Akteuren akzeptiert – nur seitens der Politik würde ein qualifizierter Mietspiegel verlangt. Dieser sei jedoch für alle Beteiligten viel aufwendiger in der Erstellung. Dies sei nur einer von vielen Punkten in der Immobilienbranche, bei denen es zu Interessenkonflikten komme. Es sei aus liberaler Perspektive durchaus fragwürdig, ob einige wenige Politiker wirklich in der Lage seien, bessere Entscheidungen zu treffen, als die organisierte Stimme der Bürger. Der Misserfolg der Mietpreisbremse lasse dies auf jeden Fall bezweifeln.
Ein weiteres Highlight des Programmes war der Vortrag von Clemens Schneider, Managing Director des Prometheus Instituts, unter dem Titel „Astroturfing oder Graswurzel? – Die Rolle von NGOs in politischen Prozessen“.
Schneider präsentierte den Teilnehmern zunächst einen Einblick in die Geschichte der Interessenvertretung:
Eine der ersten Graswurzelbewegungen entstand im 18. Jahrhundert in England. Der Parlamentarier und soziale Aktivist, William Wilberforce, war maßgeblich an der Abschaffung des Sklavenhandels und der Sklaverei beteiligt. Wilberforce, 1759 in England geboren, schloss sich Bewegungen wie den Quäkern an und brachte bereits 1789, zusammen mit dem damaligen Premierminister William Pitt, den ersten Antrag für die Abschaffung des Sklavenhandels im Parlament ein. Diese Gesetzesvorlage scheiterte zwar, markierte aber den Beginn der ersten Graswurzelbewegung gegen den Sklavenhandel. Wilberforce reiste jahrelang durch England, mobilisierte Mitstreiter, verfasste Bücher, verteilte Briefe und Handzettel und schaffte es so, eine breite Öffentlichkeit für die Probleme der Sklaverei zu sensibilisieren. 1833 verstarb Wilberforce, nur wenige Tage nachdem die Sklaverei offiziell in Großbritannien abgeschafft wurde.
Auch heute gäbe es noch vermeintliche Graswurzel-Bewegungen in Form von NGOs, die allerdings eher in die Kategorie des Astroturfings einzuordnen seien. Astroturfing („Kunstrasen-Bewegung“) beschreibe Kampagnen, die den Eindruck einer Graswurzel-Bewegung vortäuschten und versuchten, den Anschein einer unabhängigen, Bottom-up-Bewegung zu erwecken, obwohl Entscheidungen von oben herab bestimmt würden.
Schneider unterschied drei verschiedene Typen von NGOs: Erstens gäbe es ideologische NGOs, wie z. B. Amnesty International. Für diese Organisationen sei der Einfluss auf politische Maßnahmen wichtig. Zweitens gäbe es die spezifischen Interessensvertretungen. Dazu zählte er unter anderem den Bund der deutschen Steuerzahler. Auch hier sei die politische Einflussnahme noch entscheidend. Im Gegensatz dazu beschrieb er zuletzt noch die „Macher“. Diese NGOs, wie z. B. Ärzte ohne Grenzen oder Arbeiterkind.de, würden wenig politische Einflussnahme betreiben und seien aufgrund der gesellschaftlichen Notwendigkeit und nicht von der Hand zuweisenden Erfolge absolut legitim.
Als Beispiel für eine ideologische NGO nannte Schneider den Verein Campact, welcher besonders mit den Kampagnen gegen das Handelsabkommen TTIP Aufsehen erregte. Auf der Internetseite könnten Bürger Online-Petitionen an politische Entscheidungsträger einreichen. Schneider kritisierte die damit verbundene Scheinheiligkeit: Man propagiere zwar eine vermeintliche Bürgerbeteiligung der Bewegung und demokratische Prinzipien innerhalb des Verbandes, Fakt sei aber, dass der Vorstand von zwei Personen geführt werde, die an nur 12 Vollmitglieder berichteten. Von diesen 12 Mitglieder, die den Verein steuerten, würden vier von den Mitgliedern gewählt, vier weitere von den Mitarbeitern und vier durch den Vorstand selbst vorgeschlagen. Der Mitbegründer der Bewegung, Christoph Bautz, begründe diese Struktur mit der Notwendig zur schnelleren Entscheidungsfindung. Schneider kritisierte jedoch den vorherrschenden Zentralismus der Organisation, der den Mitgliedern keinerlei Mitentscheidungsmöglichkeiten biete. Die Bewegung, die zwar vorgäbe eine Grassroot-Bewegung zu sein und die Stimme der Bürger zu vertreten, leide an einem Demokratieproblem und sei keine Initiative der Bürger mehr, sondern würde Ideen von oben herab implementieren. Darüber hinaus würden zwar von Campact „neoliberale“ Akteure und ihre Ansichten pauschal als käuflich und korrupt dargestellt werden, wie z. B. im Falle der TTIP-Befürworter, allerdings würde niemand diese Interessengruppen selbst überprüfen. Dass auch NGOs, wie Campact, Einfluss auf den politischen Prozess nähmen und Klientelpolitik für Partikularinteresse betrieben, würde durch einige selbsternannte „Gutmenschen“, wie die Betreiber von Lobbypedia, ignoriert werden.
Um zu verhindern, dass Politiker sich von Lobbyisten kaufen ließen, sei es stattdessen notwendig, den negativen Lobbyismus zwar zu bekämpfen, allerdings nicht durch ineffiziente, staatliche Verbote. Anstelle staatlicher Repression würden sich heutzutage beispielsweise „naming & shaming“ eher eignen: Indem fragwürdige Vorfälle bewusst in die Öffentlichkeit gezogen würden, könnte öffentlich über fragwürdiges Verhalten von Politiker diskutiert werden. So hätten politische Akteure auch den Anreiz, keine Geschenke o. Ä. mehr anzunehmen, um nicht in den Medien in Verruf zu geraten und dadurch Wählerstimmen zu verlieren.
Schneider ging zudem auf die Rolle der Intellektuellen für die politische Willensbildung ein. Er verwies dabei auf den Artikel „The Intellectuals and Socialism“ von Friedrich A. v. Hayek. Dieser erkenne den Einfluss der sogenannten „second-hand dealers in ideas“. Mit ihrem spezifischen Wissen und Ideen hätten sie das Potential, die politische Willensbildung maßgeblich mit zu beeinflussen.
Über Lobbyismus im sozialen Sektor referierte Jan-Thilo Klimisch, politischer Berater der Christoffel-Blindenmission. Ziel der internationalen Entwicklungshilfeorganisation sei die Verbesserung der Lebensqualität von Menschen, die eine Behinderung hätten, sowie die frühzeitige Prävention vor Behinderungen. Zusammen mit lokalen Partnern setze sich die Organisation für bessere medizinische Versorgung, Rehabilitation, Bildung und Präventionsmaßnahmen weltweit ein.
Auch für den sozialen Sektor sei politische Einflussnahme notwendig. Klimisch beschrieb die Organisation im politischen Prozess als den Akteur, der entsprechende Fachexpertise im Rahmen der politischen Entscheidungsfindung einbringen könne, um damit u. a. die Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele und der Behindertenrechtskonvention zu fördern. Auch in Deutschland müsse die Entwicklungszusammenarbeit inklusiv werden. Dies versuche man mit gezielten Kampagnen in den politischen Diskurs einzubringen.
Am Abend fand die Podiumsdiskussion mit Clemens Schneider (Prometheus Institut), Dr. Wolfgang Jäckle (Transparency International Deutschland e. V.) und Jan-Thilo Klimisch, (Christoffel-Blindenmission) unter Moderation von Max Zombek (Stipendiat der FNF) statt. Vier zentrale Thesen wurden von den Teilnehmern und dem Publikum angeregt diskutiert. Dabei ging es vor allem um die Frage, ob der Lobbyismus gegenwärtig als eine Gefahr für den Rechtsstaat oder als ein wichtiger Bestandteil der politischen Entscheidungsfindung zu sehen wäre. Im Hinblick auf aktuelle Debatten stellte sich in der Diskussion die Frage, wo die Grenzen des Lobbyismus lägen und ob es sinnvoll sei, Lobbyismus in „legitime“ und „illegitime“ Anliegen zu trennen. Außerdem wurde diskutiert, ob Maßnahmen, wie das umstrittene Lobbyregister, eine stärkere Regulierung von Parteispenden oder Personalwechseln, wirklich aus Überzeugung oder nicht teilweise auch aus politischem Kalkül gefordert würden. Zum Abschluss präsentierten die Teilnehmer ihre Meinungen, mit welchen Möglichkeiten Interessenkonflikte im politischen Alltag gelöst werden könnten und ob es überhaupt Alternativen zu Lobbyismus geben könne.
Die Diskussion wurde in voller Länge von der THA aufgezeichnet und steht online zur Verfügung.
Am Sonntagmorgen war Prof. Dr. Jan Schnellenbach von der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg zu Gast und brachte den Seminarteilnehmern die ökonomische Betrachtung politischer Prozesse näher. Unter dem Titel „Eichwald, MdB oder Francis Underwood?“ präsentierte Schnellenbach die Grundlagen der Public Choice Theorie. Der Titel spielte auf zwei bekannte Fernsehsendungen an, in denen mehr oder minder skrupellose Politiker die Protagonisten sind: Die deutsche Comedy-Produktion „Eichwald, MdB“ und das amerikanische Politdrama „House of Cards“. Während der Bundestagsabgeordneten Hajo Eichwald als eine bemitleidenswerte, naive und relativ erfolglose Figur gezeichnet wird, symbolisiert Francis Underwood Gewissenlosigkeit, Korruption und Machthunger. Eines hätten beide Figuren laut Schnellenbach jedoch gemeinsam: Die individuelle Nutzenmaximierung. Damit wurde auf ein Kernproblem politischer Prozesse innerhalb der ökonomischen Theorie verwiesen: Viele politische Akteure, wie Abgeordnete, Interessenvertreter oder Bürokraten, verfolgen ihre eigenen Zielvorstellungen und möchten somit den individuellen, zumeist nicht altruistisch motivierten, Nutzen maximieren. Laut Schnellenbach sei jedoch der Glaube an die Benevolenz tief im Alltagsverständnis vieler Menschen verankert, d. h. man glaube, die Politik verfolge rein uneigennützige, wohltätige Zwecke und sei ein universeller Reparaturbetrieb, dessen Interventionen nicht in Frage gestellt werden dürften. Doch diese Annahme sei fragwürdig, wenn man davon ausgehe, dass der politische Prozess von Akteuren bestimmt werde, die, wie andere Menschen auch, persönliche Interessen verfolgten. Dazu zählten beispielsweise auch Fragen, wie es nach der letzten Legislaturperiode für einen Politiker weitergehen könne. Um ein möglichst optimales Ergebnis, sprich eine attraktive Stelle nach Ende der Amtszeit, zu erzielen, könne es dann passieren, dass Abgeordnete Unternehmen bei Gesetzen bevorzugen oder Entscheidungen treffen würden, die für den Rest der Bevölkerung negative Konsequenzen mit sich brächten.
Aus dieser Situation heraus stelle sich die Frage, wie man diesen individuellen Eigennutz in Richtung gesellschaftlich akzeptierter Resultate lenken könne. Es würde oft geglaubt, dass aufgrund innerhalb demokratischen Systems die Legitimation und der Kontrollmechanismus durch Wahlen sichergestellt seien. Jedoch zeige sich anhand des Medianwähler-Modells, dass der politische Kontrollmechanismus ausgehebelt werde: Bei Mehrheitswahlen würden Parteien immer Positionen nahe der gesellschaftlichen Mitte einnehmen, um die meisten Wählerstimmen zu gewinnen.
Um die demokratische Kontrolle der Entscheidungsträger zu gewährleisten, sei es daher essentiell, institutionelle Beschränkungen aktiv zu gestalten. Diese „Spielregeln“ wären z. B. in Form von Verfassungsregeln, politischer Dezentralisierung oder auch Referenden als Veto-Möglichkeit denkbar.
Zum Abschluss des Seminars referierte Dr. Wolfgang Jäckle, Geschäftsführer von Transparency International Deutschland e. V. zum Ausmaß von Korruption in Deutschland und evaluierte die Frage, ob Politiker in Deutschland käuflich seien. Zunächst präsentierte Jäckle eine Statistik, in der das Ansehen verschiedener Berufe innerhalb der Bevölkerung der Bundesrepublik gemessen wurde. Während Richter, Polizisten und Ärzte ein vergleichsweise hohes Ansehen genossen, war das Ansehen der Politiker niedrig. In diesem Zusammenhang stellte Jäckle auch die polizeiliche Kriminalstatistik von 2016 vor. Im Jahr 2016 wären 488 Fälle von Bestechlichkeit und Vorteilsannahme registriert worden, 638 Fälle von Vorteilsgewährung und Bestechung sowie 165 Fälle im geschäftlichen Verkehr. Jäckle kritisierte die unklare Gesetzeslage zum Thema Korruption und Bestechlichkeit, da die Gesetzestexte stark von der jeweiligen Auslegung abhängig seien und so gewissermaßen viel Spielraum für Korruption bieten könnten. Ein Beispiel für eine solche Lücke fände sich bei der Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern (§108e Strafgesetzbuch). Es sei zudem schwierig, Korruption zu messen, da bereits die Definition des Begriffes relativ offen sei. Jäckle berichtete außerdem über konkrete Korruptionsfälle aus der Praxis, worauf sich eine angeregte Diskussion der Seminarteilnehmer entwickelte.
Zusammenfassend blicken wir auf ein lehrreiches, aufschlussreiches Seminar mit spannenden Vorträgen und Diskussionen zurück. Wir haben die Brücke zwischen Public Choice Theorie und politischer Praxis geschlagen und verschiedene Perspektiven im Hinblick auf den Lobbyismus in Deutschland kennengelernt. Es wurde deutlich, dass es einerseits spezifische Regeln für die Interessenvertretung geben muss, andererseits Lobbyismus für die politische Entscheidungsfindung innerhalb einer demokratischen Gesellschaft voller Partikularinteressen unverzichtbar ist und bleibt.