China und das Machtvakuum des Westens – das Reich der Mitte am Ziel?
verfasst von Moritz Gillmair
Vom 15.-17. Februar 2019 fand in der Theodor-Heuss Akademie in Gummersbach das Kooperationsseminar “China und das Machtvakuum des Westens – das Reich der Mitte am Ziel?” der Arbeitskreise Wirtschaft & Soziales und Kultur statt. An diesem Wochenende haben wir uns intensiv mit dem Reich der Mitte aus kultureller, geschichtlicher, wirtschaftlicher und geopolitischer Perspektive auseinander gesetzt. Insbesondere die Zukunft Chinas wurden unter die Lupe genommen indem wir uns mit Projekten wie Made in China 2025 und der neuen Seidenstraße näher beschäftigt haben. Das Fazit dieses Wochenendes lässt sich zunächst knapp zusammenfassen: China ist ein sehr wichtiger Player über den wir noch viel zu wenig wissen. Das Wochenende und dieser Bericht können ein kleiner Schritt sein, um diese Lücke zu schließen.
Der Freitagabend begann mit einer Einführung in die Geschichte Chinas mit Prof. Dr. Barbara Darimont von der Hochschule Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen. Prof. Dr. Darimont hat den Teilnehmern des Seminars eine Übersicht über die verschiedenen Dynastien in China präsentiert. Dabei hat sie aufgezeigt, dass die Geschichte Chinas immer wieder von Einigungsversuchen und Zersplitterung geprägt ist. Dieser rote Faden zieht sich bis heute durch die Geschichte Chinas. Erst vor kurzem hat Xi Jinping wieder betont, dass Taiwan zu China gehöre. Auch Gewalt sei ein legitimes Mittel, um dieses Ziel zu erreichen, so Xi Jinping. Prof. Dr. Darimont betonte, dass die die aktuelle Führungsriege der Kommunistischen Partei stark von der Kulturrevolution geprägt ist. Das erklärt aus Ihrer Sicht warum es für viele Ihrer chinesischen Kollegen an den Universitäten immer riskanter wird Meinungen oder Ideen zu verbreiten, die nicht als absolut konform gelten. Selbstzensur gehöre damit für viele Akademiker in China zum Alltag.
Am Samstagmorgen hat der Westerwelle-Stipendiat Andreas Lehrfeld über das veränderte Selbstbild Chinas referiert. Insbesondere stellte Lehrfeld heraus, dass China deutlich an Selbstbewusstsein gewonnen hat. Während in der Vergangenheit China Spielball europäischer Kolonialmächte und Handelspolitik war, beansprucht heutzutage China große Teile des Südchinesischen Meeres. So werden zum Beispiel Gruppen von Felsen im Meer innerhalb kürzester Zeit zu Militärstützpunkten ausgebaut. China wächst außerdem als Softpower, so Lehrfeld. So wurden Miley Cyrus und Maroon 5 verboten in China aufzutreten, weil sie dem Dalai Lama auf Social Media zum Geburtstag gratuliert haben. Auch Katy Perry durfte nicht in China auftreten. Der Grund: eine Sonnenblume in einem ihrer Outfits, dass als Symbol für die Unabhängigkeit Taiwans interpretiert wurde.
Anschließend hat Dr. Peter Vermeer (Vermeer Consulting) seine Eindrücke geteilt, die er innerhalb der letzten 25 Jahre als Berater entwickelt hat. Dr. Vermeer lehrt an Hochschulen unter anderem an dem Ostasieninstitut der HS Ludwigshafen und unterstützt europäische Unternehmen in Asien in Fragen der Strategie, des Markteintritts, bei Verhandlungen und Kommunikationsthemen. Viele Probleme zwischen Europäern und Chinesen führt Vermeer auf gegenseitige Arroganz zurück. Die Entwicklung der europäischen-chinesischen Beziehungen bringt er kurz auf den Punkt: „China war schon immer eine Weltmacht. Wir durften nur mal 300 Jahre mitspielen“. Dr. Vermeer geht auf viele Details ein, so z. B. Chinas demographische Probleme durch eine stark alternde Gesellschaft und einem Männerüberschuss und Chinas wachsende Macht durch den Zugang zu Wasserquellen im Himalaya. Vermeer prognostiziert, dass dies zu vermehrter Umsiedlung in den Südosten des Landes führen wird und neue Spannungen entstehen können, da es zu Wasserknappheit in Ländern wie Bangladesh führen kann.
Im Anschluss hat Dr. Christian Rusche vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln einen Vortrag über das Thema „One Belt, One Road – mit der neuen Seidenstraße zu altem Glanz“ gehalten. Anhand historischer Daten hat Dr. Rusche den wachsenden Einfluss von chinesischen Waren im Exporthandel und dessen positiven Effekt auf Chinas Bruttoinlandsprodukt aufgezeichnet. Den Ursprung der neuen Seidenstraße sieht Dr. Rusche in dem Untergang der Sowjetunion und Chinas Ambitionen sein Verhältnis zu den zentralasiatischen Staaten zu vertiefen. Chinas Beitritt zur WTO im Jahre 2001, das Ausrichten der Olympischen Spiele 2008 und der Weltausstellung in 2010 sind weitere wichtige Meilensteine dafür gewesen. Seit dem Amtsantritt von Xi Jinping und der Einführung des “chinesischen Traums” übt sich China an einer neuen Großmächtebeziehung. Im Kern geht es darum die gegenseitigen Gesellschaftssysteme zu respektieren und der Berücksichtigung der Kerninteressen des anderen bei Umsetzung der eigenen Interessen.
Bei der neuen Seidenstraße handelt es sich um 1,500 bis 7,000 chinesische Projekte mit einem Investitionsvolumen von 900 Milliarden bis zu 9 Billionen US Dollar in einer Vielzahl von Ländern weltweit. Während diese Infrastrukturprojekte zu größerem Handel und Wirtschaftswachstum führen können, gibt es auch eine Vielzahl an Kritik an Chinas Plänen: Aufträge werden meist an chinesische Firmen erteilt, der ökonomische Nutzen von Projekten wird infrage gestellt und die Rückzahlung der Kredite kann schwächere Staaten in eine Schuldenfalle bringen.
Nach diesen Vorträgen haben wir den Nachmittag genutzt, um in Gruppenarbeiten sechs weitere Themen zu vertiefen. Dabei haben die verschiedenen Gruppen Präsentationen zu den Themen Made in China 2025, WeChat vs WhatsApp, Sozialkredit, KPCH im Alltag, das Dragonfly Projekt, und dem Umgang mit Uiguren im nordwesten Chinas ausgearbeitet. Während diese muslimische Bevölkerungsgruppe wenig Gemeinsamkeiten mit den Han-Chinesen haben, höhlt die chinesische Regierung Separatismus- und Terrorismusvorwürfe aus, um die Uiguren per Zwang zu assimilieren. Geschätzt jeder zehnte Uigure befindet sich in sogenannten Umerziehungslagern. Selbst die Flucht aus China ist für Uiguren schwierig, da dies mit dramatischen Konsequenzen für Angehörige verbunden wäre. Im Zentrum steht Chinas Ziel, das Land zu einigen. Viele Menschen in Xinjiang, Tibet und Taiwan werden bereits zwangsassimiliert oder fürchten, dass es bald dazu kommen könnte.
Das Kamingespräch am Abend haben wir dafür genutzt, uns mit Stephan Scheuer, Journalist des Handelsblatts, zu unterhalten. Herr Scheuer hat selbst für einige Jahre in China gelebt und gearbeitet. Während des Gesprächs hat sich insbesondere eine Diskussion rund um den chinesischen Konzern Huawei ergeben. Die zentrale Frage der Diskussion bestand darin, ob man Huawei den Ausbau des 5G-Netzes verbieten sollte.
Am Sonntagmittag, nach dem die Gruppenergebnisse präsentiert wurden, hat Joanna Klabisch von der Stiftung Asienhaus das Seminar mit einem Vortrag über die kulturellen Unterschiede zwischen Europa und China abgerundet. Dabei hat Frau Klabisch aufgezeigt, dass in China persönliche Kontakte und pragmatisches Handeln in legalen Grauzonen den Alltag ausmachen. Außerdem stellt sie heraus, dass insbesondere Chinas Jugend sehr apolitisch ist. So werden nur im engsten Freundes- und Familienkreis politische Äußerungen getätigt.
Nach vielen spannenden Vorträgen und Diskussionen haben sich die Stipendiatinnen und Stipendiaten nach einem ausgiebigen Mittagessen in der Theodor-Heuss Akademie auf den Rückweg zu ihren Studienorten gemacht.