Die VWL in Zeiten des Aufrufs: Bericht zum Methodenstreit-Seminar vom 09. bis 11.05.2014
Vom 09. bis 11. Mai veranstaltete der AK WiSo das Seminar „Methodenstreit – Die unendliche Geschichte“ in der Theodor-Heuss-Akademie. Fast 30 Teilnehmer kamen dafür nach Gummersbach. – Ein Bericht von Björn Urbansky.
Seit über sieben Jahren ist die Weltwirtschaft in Aufruhr. Mit faulen Immobilienkrediten, unverstandenen Finanzprodukten und überbordender Staatsschulden geriet nicht nur ein Wirtschaftssystem unter Legitimationszwang, sondern auch die Lehre über die Volkswirtschaft in Erklärungsnot. Warum hatten die Ökonomen die Krise nicht besser vorausgesehen? Warum helfen uns moderne ökonomische Modelle so wenig die Fehlentwicklungen im Finanzsystem zu verstehen?
Wie aktuell diese Fragen und andere Fragen auch sieben Jahre nach der Krise sind, wurde Anfang Mai wieder deutlich. Eine internationale Studenteninitiative veröffentlichte einen Aufruf für eine plurale Ökonomik. Die Initiatoren fordern in ihrem „Manifest“ eine Öffnung der Lehre hin zu einer größeren methodischen wie theoretischen Vielfalt. Da zumindest im AK WiSo die als unrealistisch kritisierten Agenten mit perfekter Voraussicht am Werk sind, richtet der Arbeitskreis noch in derselben Woche das lang geplante Seminar „Methodenstreit – Die unendliche Geschichte“ an der Theodor-Heuss-Akademie aus. Von Zufall kann also keine Rede sein, dass mit Gustav Theile ein Vertreter des Studentenaufrufs das Seminar am Freitagabend eröffnete. Der Aufruf lieferte dem Seminar damit nicht nur einen aktuellen Anlass, sondern mit Gustav Theile auch den Referenten zum perfekten Einstieg.
Der Tübinger Student stellte zunächst das Netzwerk Plurale Ökonomik vor, das maßgeblich am Aufruf mitgearbeitet hatte. Gustav erklärt aus Sicht der Initiative, was an wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten falsch läuft und wie sich das Fach verändern muss. Aus seinem Implusreferat entwickelte sich eine lebhafte Diskussion über den Status Quo der Ökonomik, die (politischen) Motive hinter dem Aufruf, die richtige Richtung einer Reform der VWL, und wie sichergestellt werden kann, dass die Lehrenden sich an den Wünschen der Studierenden orientierten. Nach diesem gelungenen Seminarstart wurden die angestoßenen Debatten in der Wacholderstube der Theodor-Heuss-Akademie bis spät in die Nacht weitergeführt.
Am nächsten Morgen stand mit Prof. Heiner Flassbeck einer der bekanntesten Kritiker des modernen Mainstreams und insbesondere seiner wirtschaftspolitischen Implikationen auf dem Programm. Der ehemalige Chefvolkswirt der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung erklärt auf sehr eindringliche Art und Weise seine (keynesianische) Sicht auf die Probleme in Europa. Dabei kritisierte Heiner Flassbeck, dass viele Ökonomen mit Scheuklappen auf die Krise schauen und für eine umfassende Analyse der Probleme nicht offen wären. Seine Erkenntnisse würden zwar staunend zur Kenntnis genommen, aber weder von Ökonomen noch (Wirtschafts-)Politikern berücksichtigt. Dabei verschlimmere der Rückgriff auf falsche Rezepte (Lohnzurückhaltung und Schuldenabbau in den Krisenländern) die wirtschaftliche Lage im Süden Europas. Er empfahl Lohnsteigerung im Deutschland. Die Teilnehmer erlebten vermutlich ein Novum in der Geschichte der Theodor-Heuss-Akademie als Heiner Flassbeck einen Mindestlohn von 15 Euro für Deutschland forderte.
Anschließend ordnete Dr. Jan Schnellenbach das bis dahin Gehörte in einen geschichtlichen Kontext ein. In seinem Vortrag „Heute schon gestritten? Debatten innerhalb der Ökonomik heute, gestern und vorgestern“ beschrieb er die Historie des Methodenstreits in der VWL stellvertretend an drei Beispielen: Historische Schule versus Österreichische Schule, Entstehung der Neuen Politischen Ökonomik (Public Choice) sowie den aktuellen Methodenstreit. Dabei zeigte Herr Schnellenbach, dass in allen drei Fällen alte Schulen durch neue wissenschaftliche Entwicklungen abgelöst wurden und in der Bedeutungslosigkeit verschwanden. Aus seiner Sicht stellt es kein Problem für den Methodenpluralismus dar, wenn sich Denkschulen im Wettbewerb der Ideen durchsetzen und andere dafür verschwinden – eine These, die anschließend heftig diskutiert wurde.
Herr Schnellenbach blieb uns auch nach der Mittagspause erhalten. Hier moderierte er eine Podiumsdiskussion zwischen Prof. Dr. Gebhard Kirchgässner (Universität St. Gallen), Prof. Dr. Roland Vaubel (Universität Mannheim) und Alexander Fink, PhD, (Universität Leipzig), zum Thema „Die Bringschuld des Ökonomen: Worüber und wie wir forschen sollten“. Nachdem alle drei Wissenschaftler in einem Kurzstatement dargelegt hatten „Nun sag, wie hältst du’s mit der Ökonomie?“ entstand eine spannende Debatte. Besonders zwischen den Herren Kirchgässner und Vaubel kam es zu einigen Wortgefechten, die aber wesentlich freundlicher ausfiel als die Lektüre vergangener FAZ-Ausgaben vermuten ließ. Gerade in der Diskussion wurde deutlich, dass man stark unterscheiden müsse zwischen den Entwicklungen in Forschung und Lehre. So scheint die forschende Ökonomik ihre Lehren aus Krise und Kritik bereits gezogen zu haben. Der Methodenstreit spielt hier eigentlich keine Rolle mehr. Dagegen scheint die Entwicklung in der Lehre hinterher zu hinken. An vielen Fakultäten sind die Curricula auf Vorkrisen-Stand. Dieser Umstand dürfte die Studenten zum neuerlichen Aufruf für eine plurale Ökonomik getrieben haben.
Mit der Podiumsdiskussion war der Samstag noch längst nicht vorbei. Nach dem Abendbrot wartete mit Dirk Heilmann ein weiteres Highlight des Seminars auf die Teilnehmer. Der Chefvolkswirt des Handelsblatt und Leiter des Handelsblatt Research Institute sprach über „Zu Risiko und Nebenwirkung fragen Sie bitte einen Ökonomen: Über die schwierige Beziehung zwischen Journalisten und Volkswirten“. In seinem kurzweiligen Vortrag stellt Dirk Heilmann die verschiedensten Ökonomen-Typen vor, mit denen Journalisten zu tun haben, erklärte von welchen Volkswirten er sich gern beraten lässt und gab Tipps, wie man es als Wirtschaftswissenschaftler in die Medien schafft. In der anschließenden Fragerunde interessierten sich die Seminarteilnehmer neben der Beziehung zwischen Journalisten und Volkswirten auch für grundlegende Aspekte der Arbeit des Handelsblatts. Mit diesem tollen Schlusspunkt endete das offizielle Programm am Samstag und es ging wieder zur Seminarnachbesprechung in die Wacholderstube.
Am Sonntagvormittag konnten dann Fragen mit Alexander Fink diskutiert werden, die während des Seminars noch nicht beantwortet wurden beziehungsweise erst währenddessen aufgeworfen wurden. Gemeinsam sprach man über Themen wie „Karriere in der Wissenschaft“, „Kann es eine ideologiefreie VWL geben?“ oder „Wie performativ sind die Wirtschaftswissenschaften?“. Viele Fragen konnten so geklärt werden, wenn bei weitem auch nicht alle. So blieben also noch genügenden Gesprächsthemen für das gemeinsame Mittagessen und der ein oder anderen Gedanke zum Durchdenken für die Heimreise.
Wir möchten uns in aller Form bei den Referenten für tolle Vorträge und eine spannende Podiumsdiskussion bedanken. Auch den Teilnehmern sei ein großes Lob ausgesprochen für den lebhaften und intellektuell anregenden Einsatz während des Seminars.