#digitalrevolution – Digitalisierung in Deutschland

Vom 19.-21. Mai 2017 fand in der THA in Gummersbach das Seminar „#digitalrevolution – Digitalisierung in Deutschland“ des Arbeitskreises für Wirtschaft und Soziales statt. Unter anderem wurden die Gestaltung der Digitalisierung aus Unternehmerperspektive, Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt und die Rolle der Wettbewerbspolitik im Bereich der digitalen Märkte an dem Wochenende von einer vielfältigen Seminargruppe kritisch diskutiert.

Freitagabend referierte Prof. Dr. David Matusiewicz, Dekan der Fakultät für Gesundheit und Soziales an der FOM Essen, über digitale Entwicklungen und Chancen im Gesundheitswesen. Herr Prof. Dr. Matusiewicz präsentierte dazu seine Thesen bezüglich der Zukunft des Gesundheitswesens.

Erstens würde die Medizin künftig mehr auf Daten (z.B. generiert durch Routinedaten oder Big Data) und damit auf Evidenzen basieren, was als Konsequenz zu transparenteren und effizienteren Gesundheitsdienstleistungen führen könne. Selbst große Konzerne wie Google oder IBM arbeiten an Produktentwicklungen, die eine effizientere Auswertung medizinischer Daten unterstützen sollen. Zweitens würden neue Gesundheitsmodelle zur Transformation und möglicherweise disruptiven Sprüngen in dem Gesundheitswesen führen und damit eine veränderte Dialogkultur schaffen. An Popularität gewinnen die „digital health“-Trends wie Fitnesstracking-Armbänder, die die Wahrnehmung und den Umgang der Bevölkerung mit medizinischen Themen verändern können. Ein aktuell kritischer Diskussionspunkt spiegelte sich in seiner These wieder, dass hochqualifizierte Ärzte sich eher in urbanen Ballungsgebieten ansiedeln werden und damit die Versorgung im Gesundheitswesen zentralistischer wird.  Herr Prof. Dr. Matusiewicz betonte die politische Relevanz, den neuen Trends offen zu begegnen und bereits digitale Kompetenzen im Bildungswesen zu fördern, um die Akzeptanz seitens der Gesellschaft zu erhöhen und Wohlstandsgewinne zu realisieren.

Am Samstagmorgen sprach Juniorprofessor Dr. Torben Stühmeier von dem Centrum für angewandte Wirtschaftsforschung der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster über Wettbewerbspolitik in digitalen Märkten. In der politischen Debatte zwischen Wirtschaftsministerium und Monopolkommission sei infolge der wachsenden Marktmacht von Google die Forderung nach regulatorischen Eingriffen, beispielsweise in Form einer Entflechtung, wie bei den Strom- und Gasnetzen, laut geworden. Es stellt sich somit die generelle Frage, ob das bestehende Wettbewerbsrecht in seiner ursprünglichen Form noch angemessen für die Komplexität und Dynamik digitaler Märkte ist. Dazu führte Herr Prof. Dr. Stühmeier aus, dass sich die Analyse der Wettbewerbsverhältnisse zugleich komplizierter gestalte als in traditionellen Märkten. Es fehle ferner an empirischer Evidenz und die Bewertung von Märkten, in denen Daten statt Geld fließen, sei ebenfalls neuartig. Anhand tagesaktueller Beispiele, wie die Prüfung der Google-Suchmaschine durch die europäische Kommission, wurden die Grundprinzipien von Plattformen in digitalen Märkten beleuchtet. Im Falle von Google wird geprüft, ob Marktmacht missbraucht wird, da eigene Ergebnisse und Online-Werbung im Rahmen der Suchmaschinenanfrage höher von Google platziert werden als Ergebnisse der Konkurrenzseiten. Ob es allerdings zu kritischen Konzentrationstendenzen und einer missbräuchlichen Nutzung der Marktposition komme, hinge von verschiedenen Faktoren ab: Die Stärke der indirekten Netzwerkeffekte, die Möglichkeit zur Realisierung von Skalenerträgen, geringe Transaktionskosten oder auch der Produktdifferenzierungsgrad.

Es könne festgehalten werden, dass zwar einzelne Bereiche der Internetökonomie Konzentrationstendenzen aufweisen, regulatorische Eingriffe dagegen nicht zwangsläufig die Lösung seien. Wünschenswert sei hingegen eine Anpassung bestehenden Rechtes, damit Märkte für Dynamik und Innovation offen gehalten werden können.

Im Anschluss stellte Dominik Magin von dem Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering (IESE) das Citizen-Science-Projekt „Digitale Dörfer“ vor. Ziel des im Sommer 2015 gestarteten Projekts ist die Untersuchung der Auswirkungen und Möglichkeiten digitaler Konzepte in ländlichen Gegenden. Die Verbandsgemeinden Betzdorf-Gebhardshain und Eisenberg/Göllheim wurden ausgewählt, um zu evaluieren, wie „smart rural areas“ funktionieren können. Da zwei Drittel der deutschen Bevölkerung in ländlichen Gegenden wohnen, sei es wichtig, Ursachen für die Unzufriedenheit auf dem Lande und die resultierende Landflucht zu identifizieren. Als Lösungsansatz wurde von der Forschungsinitiative ein regionaler Online-Marktplatz innerhalb einer App entwickelt, bestehend aus der „LieferBar“, „BestellBar“ sowie „TauschBar“. Auf einer software-gestützten Plattform können die teilnehmenden Bürger regionale Produkte einsehen und bestellen, Lieferungen für die eigene Nachbarschaft übernehmen, Dienstleistungen mit Nachbarn austauschen und Bonus-Punkte sammeln. Auch wenn es sich bei dem Projekt um einen Prototyp handelte, seien die Reaktionen durchaus positiv gewesen. Indem man Gewerbe, Bürger und Kommune aktiv in die neuen digitalen Prozesse mit einbezogen habe, sei die intrinsische Motivation der Einwohner zur Teilnahme an dem Versuch gestiegen. Die erfreulichen Rückmeldungen der Kommunen und Bürger hätten gezeigt, wie wertvoll digitale Vernetzung für ländliche Gemeinden sein kann. Allerdings fehlen den Kommunen immer noch entscheidende finanzielle Mittel, um eigenständig entsprechende Entwicklungen voranzutreiben und zu finanzieren. Magin betonte den bestehenden Handlungsbedarf und nötigen Sinneswandel der Politik, der Digitalisierung offener gegenüberzustehen, damit alle Menschen an den Früchten des digitalen Wandels teilhaben können.

Über die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt referierte Frau Dr. Andrea Hammermann von dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln. Hinsichtlich der aktuellen Debatte um mögliche Jobverluste entkräftete sie die Befürchtung, dass es zu einer tatsächlichen Beschäftigungserosion kommen könnte. Eine Änderung der Beschäftigungsstrukturen sei eher zu erwarten. So könnten zwar einzelne Tätigkeiten wegfallen, nicht jedoch ganze Berufe. Eine mögliche Lösung für einen erfolgreichen Umgang mit dem technologischen Fortschritt beschrieb Frau Dr. Hammermann mit dem Konzept des lebenslangen Lernens. Studien hätten gezeigt, dass die Qualifikation der Arbeitnehmer aus Unternehmersicht auch künftig entscheidend bleibt und somit kontinuierliche Weiterbildungen notwendig seien. Da die Mehrheit aller Beschäftigten in Zukunft zudem eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf erwartet, sollten z.B. flexiblere Arbeitszeitmodelle, wie das „Homeoffice“, von den Unternehmen implementiert werden. Aufgrund der Zunahme des zeitlich und örtlich ungebundenen Arbeitens sei absehbar, dass sich dank der Digitalisierung auch die gesamte Arbeitsorganisation im Wandel befindet. Dazu diskutierten die Seminarteilnehmer die Vor- und Nachteile verschiedener betrieblicher Organisations-Konzepte. Ein weiterer Diskussionspunkt war die Frage, ob man in einer digitalisierten und vernetzten Arbeitswelt die Geschäftsführung noch brauchen wird. Die Mehrheit der Seminarteilnehmer war sich einig, dass Koordination durch eine Führungsebene trotz des Trends der flachen Hierarchien unverzichtbar bleiben wird.

Ein weiteres Highlight des Programms war der Vortrag von Herrn Stephan Visarius, Director Customer Acquisition & Success des Startups So1, der das Geschäftsmodell einer innovativen Technologie der individuellen Preisbildung vorstellte. So1 bietet eine digitale Methode für den Lebensmitteleinzelhandel, um die Zahlungsbereitschaft der Kunden präziser abzufragen. Die „Engine“ des Unternehmens arbeitet mit einem mathematischen Verfahren, das mithilfe von Vektoren Warenkörbe und Produkte von Kunden anonymisiert analysiert. Man könne sich dies wie einen dreidimensionalen Raum vorstellen: Die einzelnen, bis zu 800-Zeilen-langen Vektoren würden, vereinfacht gesagt, als Input genutzt, um Produktgruppen und Marktstrukturen abzubilden. Im Zentrum dieses Raumes sei der Kunde mit seinen Präferenzen modelliert. Je näher sich der Vektor, d.h. das Produkt, befinde, desto regelmäßiger kauft der Kunde dieses. Je weiter entfernt es modelliert sei, desto seltener wird ein Produkt gekauft – somit ein Hinweis, Rabatte für den Kunden freizugeben. Als Resultat könne exakt berechnet werden, welcher Preisabschlag nötig sei, damit potentielle Kunden die Marke oder den Hersteller wechseln. Dieses Verfahren wird derzeit in über 300 Märkten in Deutschland mithilfe von Kundenkarten getestet. Die Technologie zeigt eine neuartige Methode auf, die den Einzelhandel und das Thema Preisbildung revolutionieren könnten. Gleichwohl wurden auch mögliche Gefahren durch einen Missbrauch dieser Technik von den Seminarbesuchern kritisch hinterfragt.

Am Abend fand die Podiumsdiskussion unter der Leitfrage ,,Welche Rahmenbedingungen muss die Politik setzen?‘‘ statt. Teilnehmer waren Georg Schukat, Geschäftsführer von schukat electronic, Dr. Oliver Stettes von dem IW Köln, sowie Dr. Patrick Schreiner aus dem Bereich Wirtschaftspolitik von ver.di. Moderiert wurde die Diskussion von Stefan Birkenbusch – ehemaliger Stipendiat der FNF.  Es wurde deutlich, dass besonders im Bereich der Beschäftigungspolitik künftig mehr Flexibilität nötig ist, um den digitalen Wandel zu meistern. Herr Schukat betonte, wie wichtig die intensive berufliche Weiterbildung der Arbeitnehmer sei, um den steigenden Anforderungen im internationalen Wettbewerb gerecht zu werden.  Herr Dr. Stettes befürwortete eine Anpassung des aktuellen Arbeitszeit-Gesetzes, um eine stärkere Flexibilität der Arbeitnehmer, z.B. hinsichtlich der Arbeitsorganisation oder Fortbildungszeiten, zu gewährleisten. Auch Herr Schukat unterstützte diesen Punkt und wünschte sich weniger gesetzliche Einschränkungen, da nur so der digitale Wandel den Menschen zu Gute kommen kann. Herr Dr.  Schreiner sah diese Aspekte teilweise kritisch und forderte weitere regulatorische Eingriffe, ansonsten befürchtete er eine Verschlechterung des Arbeitnehmerschutzes.

Am Sonntagmorgen war Herr Georg Schukat, Geschäftsführer von schukat electronic, zu Gast und präsentierte eine betriebswirtschaftliche Perspektive auf die Digitalisierung. Das mittelständische Familienunternehmen, das im Großhandel als Katalogdistributor für elektronische Bauteile tätig ist, nutzt bereits seit den 1960er Jahren computergestützte Anwendungen für die betriebliche Prozessoptimierung. Entgegen einer weitverbreiteten Meinung der Öffentlichkeit, sei es nicht das Ziel, dass Maschinen die Menschen verdrängen, sondern einzelne Teilschritte automatisiert werden. Ein Beispiel für einen solchen Ansatz sei die Software „Celonis“ des gleichnamigen deutschen Startups. Es ist in die Kategorie des „Process Mining“ einzuordnen und kann in Echtzeit jeden Schritt eines Vorgangs, von der Kundenbestellung bis zur Auslieferung, evaluieren. Durch die Implementierung konnte auch schukat electronic die Dauer von Auftragsannahme bis zur Übergabe an den Paketdienstleister deutlich optimieren. Ein anderes Beispiel einer digitalen Prozesslösung ist die vollständige Automatisierung von Warenlagern. Da Arbeitszeit gespart wird, können die Ressourcen in anderen Feldern der Wertschöpfungskette eingesetzt werden. Trotz Automatisierung müssen so nicht zwangsläufig Stellen abgebaut werden. Generell spiele die digitale Analyse der Betriebsprozesse für jedes Unternehmen eine entscheidende Rolle, um Ineffizienzen identifizieren zu können, Verbesserungspotentiale zu realisieren und letztlich im Wettbewerb zu bestehen. Trotz vieler digitaler Anwendungsmöglichkeiten in Unternehmen sei der Personenkontakt jedoch bis heute unverzichtbar. Webdienste, wie Onlinekataloge, können zwar als Einstieg für einen persönlichen Kontakt dienen, würden diesen allerdings auch künftig nicht ersetzen können.

Abschließend gab Prof. Dr. Ralf Klamma von der Advanced Community Information Systems Group der RWTH Aachen einen Einblick in das Internet der Dinge. Das „Internet of Things“ (IoT) beschreibt das Konzept, eine große Anzahl von Technologien zu vereinigen. Klamma verdeutlichte, dass physische Objekte mit Sensoren und Kontrollern versehen und mit dem Internet verbunden, das Internet der Dinge bilden.  Dazu zähle auch die Vision der ,,smarten‘‘ Objekte, die miteinander kommunizieren können („machine-to-machine-communication“). Neben den technischen Hintergründen präsentierte Herr Prof. Dr. Klamma den Seminarteilnehmern auch Beispiele für IoT-Produkte. Ein praktisches Beispiel war der ,,Dash-Button‘‘ eines bekannten Zahnbürstenherstellers. Wenn der Verbraucher bemerkt, dass er eine neue Zahnbürste benötigt, kann er den Knopf drücken und es wird au tomatisch eine neue Zahnbürste bestellt.

Auch die Herausforderungen des IoT wurden differenziert beleuchtet. Der viel diskutierte Punkt Netzneutralität sei auch hier problematisch, da bei einer kommerziellen Nutzung neuer Technologien geklärt werden müsse, wie Datennetze und Datenpakete gerecht behandelt werden. Weiterhin sei teilweise noch unklar, welcher Mehrwert von den Anwendungen des IoT wirklich erwartet werden könne. Um die Akzeptanz und das Interesse der Gesellschaft zu erhöhen, seien innovative und nutzenstiftende Erfindungen erforderlich. Da es an einheitlichen technischen Standards fehlt, ist ferner eine detaillierte Betrachtung der Sicherheitsaspekte und des Datenschutzes erforderlich.

Zusammenfassend können wir auf ein aufschlussreiches und spannendes Seminar mit angeregten Diskussionen zurückblicken. Die Digitalisierung birgt weitreichende Potenziale für Gesellschaft und Politik. Um den digitalen Wandel gerecht und optimal zu gestalten, sollten in einigen Bereichen gesetzliche Modernisierungen erfolgen, sodass die Märkte in Zukunft offen gehalten werden und Unternehmen flexibel agieren können. Nur so können Wohlstandsgewinne erzielt werden, damit schließlich alle Menschen von der digitalen Revolution profitieren.