„’Kein Mensch kann sie wissen, kein Jäger erschießen‘ – Geistiges Eigentum im Spiegel des 21. Jahrhunderts“

von Florian Hey

Vom 9.-11. März 2018 fand in der THA in Gummersbach das Kooperationsseminar „`Kein Mensch kann sie wissen, kein Jäger erschießen´ – Geistiges Eigentum im Spiegel des 21. Jahrhunderts“ der Arbeitskreise Wirtschaft und Soziales, Kultur und der AG Netzpolitik statt. An diesem Wochenende wurden neben der Ausgestaltung wirtschaftspolitischer Rahmenbedingungen im Kontext des geistigen Eigentums auch grundsätzliche Fragen wie die kulturell-philosophische Entwicklung des Eigentumsbegriffs oder das Für und Wider des Open Access Bewegung von einer sehr diversen Teilnehmergruppe kritisch diskutiert.

Der Freitagabend begann mit einem Vortrag von Professor Dr. Elisabeth Müller von der German Graduate School of Management and Law gGmbH, in dem sie sich mit den ökonomischen Implikationen des geistigen Eigentums auseinandersetzte.

Um diese nachzuvollziehen wäre zuallererst ein Verständnis der unterschiedlichen geistigen Eigentumsrechte von Nöten. Unter diesem Begriff seien verschiedene Schutzrechte subsumiert. Diese würden Patente sowie Gebrauchsmuster, die neue Erfindungen schützen sollen, Urheberrechte zum Schutz originärer schöpferischer bzw. künstlerischer Werke und Marken, also die charakteristische Bezeichnung von Waren oder Dienstleistungen, umfassen. Hinzu kämen Schutzrechte für eingetragene Geschmacksmuster zur Absicherung der äußeren Gestaltung und für Betriebsgeheimnisse im Sinne wertvoller, nicht öffentlich bekannter Informationen. Ein einzelnes Produkt könne dabei viele dieser Rechte auf sich vereinen und komplexe Fragestellungen aufwerfen. Besonders bemerkenswert in diesem Zusammenhang sei, dass in den letzten Jahrzehnten die relative Bedeutung von Schutzrechten für immaterielle Vermögenswerte stetig an Bedeutung gewonnen habe. Beispielsweise würden diese im S&P500 aktuell circa 85% des gesamten Marktwerts darstellen, hingegen sich dieser Anteil Ende der 1970er Jahre auf noch knapp unter 20% belaufen hätte. Daher sei zu konsternieren, dass Geistiges Eigentum in unserer heutigen Wissensgesellschaft einerseits ein essentieller Vermögenswert sei, andererseits die geltende Rechtslage kleine innovative Unternehmen im angemessenen Maße schützen würden. In dieser Hinsicht seien auch die Vergesellschaftung von Geistigem Eigentum unter kontrollierten Bedingungen, wie es beim Linux Computersystem der Fall sei, und die Garantie von Standards in Bezug auf das Gemeinwohl wichtige Teilaspekte zur Beurteilung des aktuellen Rechts.

Am Samstagmorgen gab Diana Liebenau, LL.M. (Harvard), vom Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Recht des Geistigen Eigentums und Wettbewerbsrecht der Ludwig-Maximilians-Universität München via Skype-Vortrag einen detaillierten Einblick in die rechtliche Lage und zur Fragestellung, inwiefern es ein Recht am Geistigen Eigentum gibt.

Zu Beginn einer jeden rechtlichen Beurteilung von Geistigem Eigentum ständen zwei Fragen: Auf der einen Seite ob das Recht bestünde, auf der anderen Seite ob das Recht verletzt sei. Aktuell sei in diesem Rahmen festzustellen, dass für manche, aber nicht jeden Lebensbereich Rechte definiert seien, die innovative Leistungen im jeweiligen Bereich fördern sollen. Dies sei aber nur dann notwendig, wenn ein Immaterialgut in Form eines öffentlichen Gutes (weder exklusiv, noch rival) vorläge und somit eine Unterproduktion drohe. Das Immaterialgüterrecht löse diese Problematik durch Rechtszuweisung, also künstlicher Exklusivität. Die Besonderheit und Problematik von Immaterialgütern lasse sich beispielsweise aus ökonomischen Argumentationssträngen wie den hohen Kosten der Schöpfung, den niedrigen Grenzkosten der Produktion, hoher Unsicherheit und Ähnlichem herleiten. Die Legaldefinition und damit verbundene Zuweisung von Rechten sei aber nicht die einzige Möglichkeit, die bestehende Problematik zu lösen. Durch staatliche Eingriffe, wie Subventionen oder Preisregulierung, könnte theoretisch ebenfalls Marktversagen gelöst werden. Somit sei die Ausgestaltung des Rechts Resultat einer Nutzenabwägung. Als Vorteile des status quo könnten u. a. die Nutzung privater Informationen statt staatlicher Planung oder die Verarbeitung von Marktsignalen gesehen werden. Als nachteilig seien wiederum ex post bzw. ex ante Ineffizienzen oder auch die Behinderung von follow-up Innovationen zu bewerten. Davon ableitend sei eine wiederkehrende Evaluation dieser Abwägung der Interessen des Rechtsinhabers gegenüber den Interessen der Nutzer sowie der Allgemeinheit notwendig. Fortwährend sei in diesem Zusammenhang zum Beispiel über die Schutzdauerbegrenzung zu debattieren als auch über die Problematik der patent races. Eine gesamteuropäische Lösung erscheine für die Vielzahl an Herausforderungen erstrebenswert.

Im Anschluss daran stellte Maximilian Wirth, wissenschaftlicher Mitarbeiter von Frank Schäffler MdB, die philosophische Perspektiven und die sich davon ableitende ökonomische Implikationen für den Eigentumsbegriff vor.

Nach einem kurzen Abriss der historischen Entwicklung des Eigentumsbegriffs führte er sowohl in die utilitaristische bzw. konsequentialistische als auch in die deontologische Argumentation ein. Insbesondere letztgenannte war Gegenstand ausführlicher Erklärungen. Aus deontologischer Sicht, einer Perspektive in der eine gute Handlung bestimmten moralischen Normen folgt, sei das Eigentum Selbsteigentum und damit John Locke folgend ein Naturrecht. Jedem Individuum solle es ermöglicht werden, die Früchte seiner Arbeit zu tragen. Damit sei das private Eigentum gerecht, solange der lockische Provisor, eine Art Pareto-Kondition die besage, dass von allem noch genug übrig seien müsse, gelte. Weiterhin wäre daran anschließend aus der Anspruchstheorie von Robert Nozick herzuleiten, dass eine gerechte Gesellschaft eine sei, in der Eigentum gerecht erworben und andererseits gerecht, d. h. auf freiwilliger Basis, getauscht werden würde. Als zusätzliches Argument für Eigentum sei zudem aus konsequentialistische Perspektive (eine Handlung ist gut, wenn es auch ihre Resultate sind) im Sinne von Friedrich August von Hayek zu nennen, dass Eigentumsrechte Wohlstand schaffen würden. Erstens indem sie Anreize setzten und zweitens dadurch das der Preismechanismus fähig sei, eine spontane Wissensteilung zustande zu bringen. Daran anlehnend wären weitere konsequentialistische Argumente, dass Eigentumsrechte beispielsweise gute Nachbarschaft bzw. Pluralität oder auch die freie Rede fördern. Daraus ergäbe sich in der Gesamtheit der Diskussion unterschiedliche für die Zukunft zu klärende Fragen. Einerseits aus deontologischer Sicht ob „Geistiges Eigentum“ Eigentum sei, andererseits aus konsequentialistischer Perspektive ob die Konsequenzen mit Geistigem Eigentum besser oder schlechter seien.

Nachdem sich die Teilnehmer am Nachmittag in Gruppen zusammenfanden, um beispielhafte Rechtsanwendungen im geistigen Eigentum zu erarbeiten, setzte sich der Seminartag mit einem Vortrag zur Open Access Bewegung von Dr. Jasmin Schmitz vom ZB MED Informationszentrum Lebenswissenschaften fort.

Open Access bedeute, dass Peer-Review-Fachliteratur kostenfrei und öffentlich im Internet zugänglich gemacht würde, um Volltexte überall ohne finanzielle, gesetzliche oder technische Barrieren frei zugänglich zu machen. Die einzigen Einschränkungen wären, den Autoren die Kontrolle über ihre Arbeit zu belassen und rechtlich abzusichern, dass ihre Arbeit angemessen anerkannt und zitiert werde. Zu unterstreichen sei aber auch, dass sich Open Access vom allgemeinen Sprachgebrauch unterscheide, denn nicht alles, was frei zugänglich sei, entspräche auch der Begrifflichkeit. Die Open Access Bewegung selbst sei aus den Gründen der Bedeutung des wissenschaftlichen Publizierens als Allgemeingut, der Sicherstellung der Literaturversorgung und der fortbestehenden Zeitschriftenkrise entstanden. Der gesellschaftliche Bedarf an Open Access würde zudem auch dadurch genährt, dass Wissenschaft ebenfalls außerhalb des Wissenschaftsbetriebs stattfinde und fundierte Informationen, die mit wissenschaftlichen Methoden generiert würden, gleichfalls außerhalb der Wissenschaft eine Rolle spielten. Beispiele hierfür seien Bürgerwissenschaften, die Erforschung seltener Krankheiten, Open Innovation, die Nutzung durch KMU sowie Selbständige usw. Von politischer Seite vorangetrieben würde die Bewegung durch Maßnahmen der Bundesregierung wie der Anpassung des Urheberrechtsgesetzes, der Einführung des unabdingbaren Zweitverwertungsrechts sowie der Ausarbeitung einer Open Access-Strategie. Von der aktuellen Großen Koalition seien zusätzlich weitere Fördermaßnahmen angekündigt worden. In Zukunft seien unterschiedliche Entwicklungen denkbar. Neben dem sogenannten goldenen Weg, die Publikation in einer originären Open-Access-Zeitschrift bzw. in einer hybriden Zeitschrift, sei in selber Weise der grüne Weg, die elektronische Zweitveröffentlichung eines bereits erschienen Artikels sowie seine Nutzung von institutionellen oder fachspezifischen Repositorien, denkbar.

Den Abend ließen die Teilnehmer mit dem 2010 erschienen Film „The Social Network“, der sich mit der Entstehungsgeschichte des sozialen Netzwerks Facebook auseinandersetzt und insbesondere die Frage nach dem Geistigen Eigentum aufwirft, ausklingen.

Am Sonntagmorgen konnten wir Peter Slowinski, LL. M. (Stanford) vom Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb begrüßen. Er setzte sich in seinem Vortrag mit der Frage auseinander, ob Geistiges Eigentum als Treiber oder Bremsklotz der Innovation zu betrachten sei.

Zu Beginn seiner Ausführungen stellte er dafür die Schutzbegründung in den Vordergrund. Geistiges Eigentum müsse geschützt werden, um Anreize für Kreativität und Innovation zu schaffen, also in Form von Urheber- und Patentrechten, bzw. um im Rahmen von Markenrechten Markttransparenz herzustellen. Kreativität und Innovativität von Menschen werde dabei durch intrinsische und extrinsische Motive geschaffen, wobei mit letztgenannten auch die Gewinnerzielung im Wettbewerb umfasst sei. Die grundsätzliche Erkenntnis in dieser Hinsicht wäre, dass Wettbewerb Innovation fördere. Um Marktversagen im Spannungsverhältnis von Innovation und Imitation zu verhindern, würden wiederum Immaterialgüterrechte notwendig. Anhand unterschiedlicher Fälle, die von ergänzenden Schutzzertifikaten im Pharmasektor über standardessentielle Patente im Mobilfunk bis hin zu diversen Beispielen des datengetriebenen Wirtschaftens reichten, wurde dargestellt, dass Geistiges Eigentum sowohl Treiber als auch Bremsklotz der innovativen Entwicklung seien könne.

Das Seminar schloss mit einer zusammenfassenden Vorstellung der Ergebnisse aus den Gruppenarbeiten, in der sich die Teilnehmer mit aktuellen Fällen aus den Marken-, Patent- und Urheberrecht beschäftigt hatten.

Insgesamt durften wir ein spannendes und aufschlussreiches Seminar mit lebhaften Diskussionen miteinander verbringen. Aus ökonomischer Sicht ist insbesondere festzuhalten, dass es einer breit gefächerten Abwägung bedarf, inwieweit Geistiges Eigentum geschützt werden muss, um Eigentumsrechte in angemessener Weise zu wahren und eine stetige Innovation zu gewährleisten, insbesondere da durch die fortwährende Digitalisierung der Gesellschaft sich die Fragestellungen in diesem Kontext weiter häufen werden. Der Begriff des Geistigen Eigentums besitzt zudem auch eine immense Vielschichtigkeit und Historie, die es gilt in die unterschiedlichen Betrachtungsweisen, seien sie nun rechtlicher und kultureller Natur, einzubeziehen und fortzuentwickeln.