Liberaler Verbraucherschutz: Der Bürger in der Anlageberatung – Mündig oder Mündel? 11.-13. Januar 2013

VA Verbraucherschutz 2013Zu Beginn des neuen Jahres setzte sich der Arbeitskreis Wirtschaft & Soziales mit Fragestellungen rund um Verbraucherpolitik im Bereich der Anlage- und Finanzberatung auseinander. Ziel war es, das provisionsbasierte Vergütungsmodell einer kritischen Analyse zu unterziehen, Alternativmodelle aufzuzeigen und folglich aus den gewonnenen Erkenntnissen Handlungsoptionen für die Verbesserung der liberalen Verbraucherpolitik abzuleiten. Verbraucherpolitik als Freiheitsthema: Ist der Finanzverbraucher mündig und wie kann er im vielfältigen Dschungel des Finanzmarktes überhaupt frei entscheiden? Was müssen wir gegebenenfalls ändern?

Nach der Einführung durch die mit Wirtschaftsfilmpreis ausgezeichneten SWR-Dokumentation „Die Bauspar-Falle“, die sich mit betrügerischen Machenschaften rund um die Badenia Bausparkasse auseinandersetzt, bezifferte Prof. Dr. Michael Westendorf, Leiter des Instituts für Finanzmarktforschung und Qualitätssicherung an der Universität Witten/Herdecke, den volkswirtschaftlichen Schaden aufgrund von Falschberatung mit ca. 20-30 Mrd. Euro jährlich. Darüber hinaus forderte er, den Beruf des Finanzberaters ähnlich wie Ärzte, Rechtsanwälte und Steuerberater zu institutionalisieren.

Heribert Wienkamp, Finanzpsychologe, skizzierte vier Typen des so genannten „Finanzverbrauchers“ und die Interessen, von welchen sie geleitet sind. Die häufigsten emotionalen Grundlagen von Finanzentscheidungen sind nach seiner Erkenntnis Angst und das Bedürfnis nach Sicherheit.

Den Höhepunkt des Seminars bildete die kontroverse Diskussion zwischen Prof. Dr. Julius Reiter, Professor für Wirtschaftsrecht sowie Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, und Dr. Hans Reckers, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Öffentlicher Banken Deutschlands (VÖB) e.V. und Bundesbankvorstandsmitglied a.D. Während Reiter die Missstände im Finanzsystem, die durch das provisionsbasierte Vergütungsmodell verursacht bzw. verstärkt werden, aufzeigte, Gesetzgebungsvorschläge vorstellte und für das Honorarberatungsmodell eintrat, machte sich Reckers für das Provisionsmodell stark, verwies auf den funktionierenden Wettbewerb und die rechtlichen Schutzmechanismen des Zivil- und Bankaufsichtsrechts. Eine Unordnung des Beratermarkts sei nicht zu erkennen, wenngleich es schwarze Schafe gibt. Reiter ist hingegen davon überzeugt, dass die Vertrauenskrise die Finanzkrise überdauern wird.

Rainer Wegener, Berater im Wealth Management der quirin bank AG, stellte das Geschäftsmodell der ersten Honorarberaterbank in Deutschland vor, welches insbesondere durch Unabhängigkeit der Berater und Kostentransparenz geprägt ist.

Einen Einblick in die Analyse und Bewertung von Finanzprodukten gewährte Pascal Seppelfricke, Vorstand der Seppelfricke & Co. Family Office AG, den interessierten Zuhörern. Der Finanzanalyst ging dabei insbesondere auf Interpretationsspielräume und die Unabhängigkeit der großen Wettbewerber ein.

Zum Abschluss des zweiten Seminartages beehrte Gerhart Baum, Bundesinnenminister a.D. und FDP-Urgestein, die Gäste der THA. Sebastian Hahn und Max Schulze führten vor dem Kamin durch das Gespräch. Baum stellte der Bundes-FDP im Rahmen der Diskussion kein gutes Zeugnis aus und machte klar, dass ohne einen charismatischen, authentischen Kopf an der Spitze der Partei Wahlerfolge ausbleiben und die großartige Idee des Liberalismus nicht umfassend transportiert werden könne. Er regte an,  den Freiheitsbegriff nicht zu verengen und sich u.a. verstärkt der Verbraucherpolitik als Freiheitsthema anzunehmen.

Der letzte Seminartag wurde einer Zukunftswerkstatt gewidmet. Nach einer kurzen Diskussion in kleinen Gruppen am Vortag versuchte die Seminarleiter Max Schulze und Raphael Willmann gemeinsam mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern Thesen zu einer liberalen Verbraucherpolitik im Finanzmarkt zu erarbeiten. Folgende Schlussfolgerungen wurden zusammengetragen:

  1. Berechnung und Quantifizierung volkswirtschaftlicher Schäden, die auf Falschberatung zurückzuführen sind, stellen sich als schwierig dar. Jedenfalls erleidet der erwiesen falsch Beratene einen persönlichen Schaden, der nicht umfassend im Kundeninteresse handelnde „Berater“ bzw. dessen Arbeitgeber erwirtschaftet hingegen einen Gewinn auf dessen Kosten. Insofern handelt es sich volkswirtschaftlich um ein Nullsummenspiel. Fraglich bleibt, wer dafür die Verantwortung trägt. Es entsteht ein Vertrauensverlust im Markt. Insoweit besteht Handlungsbedarf.
  2. Selbst der in Finanzentscheidungen informierte Verbraucher und sein „Berater“ stehen sich nicht auf Augenhöhe gegenüber, da der Verbraucher in einer komplexen Welt in Ermangelung von Zeit und Ressourcen nie alles wissen kann.
  3. Der Provisionsverkauf soll nach wie vor möglich bleiben, darf sich aber nicht „Beratung“ nennen. Der Terminus des „Beraters“ ist irreführend, da er den Eindruck erweckt, dass der Berater umfassend im Sinne des Kunden handelt. Im provisionsbasierten Modell stellt die Beratung jedoch lediglich eine Nebentätigkeit dar. Der „Berater“ ist dort ein Verkäufer. Um ein entsprechendes Bewusstsein bei den Verbrauchern zu schaffen, ist die Trennung von Beratung und Verkauf begrifflich klarzustellen. Sprache schafft Bewusstsein.
  4. Die gleiche Transparenz soll bei den Kosten gelten, diese müssen für den Verbraucher allumfassend erkennbar sein. Versteckten Kosten darf es nicht geben.
  5. Eine gesetzliche Regelung des Berufsstands des Finanzberaters – ähnlich dem des Steuerberaters und des Anwalts – ist eine erwägenswerte Idee, im Sinne eines freien Wettbewerbs jedoch als zu starker Eingriff in den Markt abzulehnen.
  6. Es soll eine umfassende Beweislastumkehr zu Gunsten des Verbrauchers eingeführt werden,  der „Berater“ muss im Schadensfall beweisen, dass er anleger- und anlagegerecht beraten hat. Eine entsprechende Regelung kann sich an dem für den Verbrauchsgüterkauf geltenden § 476 BGB orientieren. Dies führt zu wirksamen Compliance-Strukturen bei „Beratern“ / Banken.
  7. Die BaFin soll zusätzlich zu ihren bisherigen Aufgaben, die Aufgabe der Verbraucherpolitik bekommen. Denn Soziale Marktwirtschaft ist und bleibt eine Veranstaltung für den Verbraucher.

Die Seminarleiter danken den Teilnehmerinnen und Teilnehmer für ihre großartige Mitarbeit.